Ein Flugkapitän der Interflug gründet ein eigenes Luftfahrtunternehmen

Von der "IL-18-Air-Cargo" GmbH zur "BERLINE", Berlin Brandenburgisches Luftfahrtunternehmen GmbH

An einem Winterabend 1991 saß eine Il-18-Frachtflugbesatzung mit Frachtbegleiter in einer Wiener Kneipe nach einem Flugeinsatz bei einer Runde Bier. Angesichts der nicht mehr aufzuhaltenden Liquidation der DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG durch die Treuhand-Gesellschaft war die Stimmung gedrückt und die Zukunft ungewiss. Da rückte der Flugkapitän Reinhard Knäblein mit seiner Idee heraus, es auf eigene Faust mit einer Fluggesellschaft zu versuchen. Sie nahmen den Vorschlag mit nach Berlin-Schönefeld und die Belegschaft der Il-18-Staffel und der Flugtechnik waren sofort Feuer und Flamme von der Gründung einer "Il-18-Air-Cargo GmbH" mit vier Flugzeugen aus der Konkursmasse zu einem symbolischen Preis von einer DM pro Flugzeug.

Sozusagen eine Übergangslackierug mit blauem Schriftzug BERLINE

Die erste vollständig blaue Lackierung der Il-18 von Berline
Ein vermeindliches Schnäppchen, bis man erfuhr, dass das Bord- und Bodenpersonal insgesamt auf seine 1,5 Millionen DM Abfindung verzichten musste und dass die Erfüllung der bundesdeutschen Sicherheitsauflagen für die durchschnittlich 24 Jahre alten Iljuschins Umrüstkosten von 400.000 DM pro Flugzeug anfallen. Damit überstiegen die Anschaffungskosten gleich um ein Vielfaches den Zeitwert der 4 Il-18. Wegen der betagten viermotorigen Turboprobflugzeuge entbrante ein Streit zwischen Berliner Justiz und Treuhand. Das Verfahren wurde aber wegen betrügerischer Manipulation eingestellt. Wer diese rufschädigende Kampagne verursachte, blieb geheim. Schließlich gab es eine ganze Reihe Konkurenten, Interessenten und Feinde in der Branche und darüber hinaus.

Berline wieder auf dem Rumpf, mit Spektrum-Farben auf dem Seitenleitwerk

Schriftzug German European Airlines von Grampe/Steinkamp
Die fünfte Il-18 der Berline wurde die ehemalige Messmaschine DDR-STP/D-AOAQ, wegen ihrer Lackierung auch "Graue Maus" genannt. Von Rechtsanwalt Dr. Wellensiek wird am 07.01.1992 für diese Il-18 die Verwertung bei der Treuhand beantragt und von dieser freigegeben. Die AQ war nach Einigungsvertrag Eigentum der Bundesanstalt für Flugsicherung und wurde mit Berücksichtigung der bis zum 01.02.1991 zurückliegenden noch offenen Stillstandskosten für 225.000 DM an die BERLINE abgegeben. Ein Drittel des Kaufpreises sollte sofort und zwei Drittel nach Ablauf von 6 Monaten, verzinst mit 2% über den Diskontsatz, gezahlt werden. Also auch hier ein Kaufpreis von einem Vielfachen über dem tatsächlichen Verkehrswert der D-AOAQ.

Somit bestand der Flugzeugpark der Berline aus folgenden Il-18: Allein mit Fracht-Charter war leider nicht das große Geschäft zu machen, und so brauchte die Fluggesellschaft ein weiteres Standbein, den Einstieg ins Passagiergeschäft mit der Marktnische Urlaubscharter für den Mittelmeerraum. Aus der Il-18-Air-Cargo GmbH wurde die Berline (eine Verschmelzung der Worte BERLIN und LINE) gegründet und am 01. November 1991 als "BERLINE", Berlin Brandenburgisches Luftfahrtunternehmen GmbH" ins Firmenregister eingetragen. Das Eigenkapital betrug 1,2 Millionen DM und die Gesellschafter waren Flugkapitän Reinhard Knäblein mit 40% Eigenkapitalanteil, Wolfgang Krauss, ehemals LTU, mit ein Fünftel Anteil sowie der stille Teilhaber Ralph Kühn mit ebenfalls 40% Eigenkapital. Der Verkaufsleiter Volker Westphal war ein erfahrener ehemaliger Hamburger Airlines-Manager. Das Frachtflugzeug DDR-STM/D-AOAS wurde beim Hersteller Iljuschin am Flughafen Schukowski-Ramenskoje nahe Moskau mit einer großen seitlichen Frachtluke und Rollenboden für P1-Standardpaletten und LD-10 Doppelcontainer geeignet nachgerüstet.

Zuchtbullen im Auftrag der Bundesregierung nach Kriwoj Rog

Die D-AOAS mit großer Frachtluke und den Wappen von Berlin und Brandenburg
Reinhard Knäblein flog neben seinen Aufgaben als Geschäftsführer regelmäßig als Flugkapitän und Linienpilot auf der Il-18 Passagier-Charter. Mit dem Einstieg ins Passagiergeschäft war er gezwungen, Cockpitpersonal und Flugbegleiter aufzustocken. Meine eigene Bewerbung nach Gründung der Il-18-Air-Cargo GmbH wurde vom Geschäftsführer zurückgestellt, da er dem Personal der ehemaligen Il-18-Staffel der Interflug den Vorrang gab und der Bedarf an Piloten für 1991 gedeckt war. Das neu hinzugekommene Personal brauchte natürlich die Abfindung aus der Liquidation der Interflug nicht nachträglich einzubringen und der Neid beim Gründungspersonal war verständlich, aber nicht zu ändern. Ich absolvierte mein Simulatortrainingsprogramm für die Wiedererlangung der Il-18-Fluglizenz auf dem rustikalen uns über Jahrzehnte gewohnten russischen Il-18-Simulator, der in einem Hangar auf dem Militärflugplatz Drewitz installiert worden war. Schließlich hatte ich bei Interflug immerhin 9000 Flugstunden von 12000 insgesamt als Pilot auf der Il-18 geflogen. Das Line-Training konnte ich am 27. Juni 1992 abschließen. Mit ca. 80 Flugstunden pro Monat waren wir bis Ende 1992 gut ausgelastet. Die Geschäftsführung war, inzwischen mit Ex-LTU-Manager Wolfgang Krauss verstärkt worden. Mit seiner Erfahrung und Unterstützung fand man für den Passagiercharter einen geeigneten modernen Flugzeugtyp. Von der französischen TAT wurden zwei Fokker-100 geleast und nach und nach 14 Piloten beim Hersteller in Amsterdam für die Typenschulung gebucht. 10 Tage "Groundcourse" und 15 Simulatorsitzungen waren zu absolvieren. Meine Gruppe, Sprieß/Lüdke und Hellmich/Twrdy, waren mit Januar/Februar 93 die letzten in Amsterdam.

Auch hier am Anfang Berline auf der Original-TAT-Lackierung.

Später wieder mal eine "Graue Maus" mit Berline auf dem Seitenleitwerk

Nach der Bodenvorbereitungen in der inzwischen gegründeten Fokker-100-Flotte unter der fliegerischen Leitung von Flugkapitän Hans-Joachim Arlt wurde am 02. März 1993 das Platztraining (11 Anflüge und 9 Landungen) mit dem TAT-Checkpilot Gonnet am Airport Neuhardenberg durchgeführt. Bis zu den Streckeneinweisungsflügen vergingen lange 3 Monate und vom 01.06. bis 13. 07. flog ich dann endlich meine Streckeneinweisungsflüge (Line-Training). Mit dem Zulassungsflug (Line-Check) nach Tabarka/Tunesien am 15.07. unter Check-Pilot CARCASSONNE erhielt ich als letzter die Zulassung für die Fokker 100.


Die Geschäftsführer W. Krauss und R. Knäblein

Lizenzurkunde der 14 zugelassenen Fokker-Piloten.

Ende 1991 waren weit über 20.000 Passagiere befördert worden. Für 1992 erwartete man 66.000 Passagiere und einen Umsatz von 20 Millionen DM. Für 1993 mit den zwei Fokker 100 zusätzlich (Ende 92 die F-GIOX und im April 1993 die F-GIOV) rechnete der Verkaufsleiter Volker Westphal mit einer Verdopplung der Passagierzahlen. Der Umsatz sollte von 18,6 auf ca. 46 Millionen DM steigen. Damit hätte die BERLINE aber immer noch nicht schwarze Zahlen geschrieben. Personal- und Wartungskosten, Standgebühren, Überflugsgebühren, Kerosin, Mieten und notwendige Investitionen belasten die junge Fluggesellschaft erheblich. Nach 3 Betriebsjahren war damit zu rechnen, dass Berline aus den roten Zahlen herauskommen würde. Leider ist der Schuldenberg ständig mitgestiegen. Noch im Dezember 1993 verhängt die französische TAT Startverbot für die beiden Fokker 100 und lässt sie nach Frankreich zurückführen. Die Geschäftsführer waren Tag und Nacht in ganz Europa unterwegs, um einen Bankkredit zu bekommen.
Zum 10.02.1994 beliefen sich die Forderungen seitens FBS (Flughafen Berlin-Schönefeld) für die Miete 07/93 - 02/94, Landegebühren, Mietnebenkosten und Sonstiges bereits auf 1.893.971 DM. Gehaltszahlungen kamen ab jetzt nur noch unregelmäßig und die ersten Krankenkassenbeiträge wurden nicht mehr abgeführt. Die Schulden stiegen 1994 auf fast 12 Millionen DM. Alle Bemühungen seitens der Gesellschafter um Bankkredite und Unterstützung beim Landesvater Stolpe und beim regierenden Bürgermeister von Berlin Diepgen waren vergebens. Es durfte nicht sein.
Weil kein Geld für Löhne vorhanden war, arbeitete die Belegschaft freiwillig ohne Bezahlung weiter. Es wurde Kurzarbeitergeld beantragt, doch die anderen arbeiten voll weiter. Das Geld teilen sie untereinander auf und ein paar ganz dringende Rechnungen wurden davon auch beglichen.
Bereits im ersten Jahr beim Aufbau der Airline hatten überzogene Preisforderungen den wirtschaftlichen Betrieb der Berline hoch belastet. Nachfolgend einmal nur vier Beispiele. Für die D-AOAQ musste die Berline 225.000 DM bezahlen. Ein Preis weit über den Verkehrswert des Flugzeuges. Für Material und notwendige Ersatzteile 192.885 DM und für notwendige Büroausstattungen von der Interflug 22.776 DM. Die Anwaltskosten von Wellensiek&Partner, 2.670 DM, oben drauf.


225.000 DM für die D-AOAQ

Material und Ersatzteile für die Il-18 192.885 DM

Büroausstattungen 22.776 DM

Anwaltskosten Wellensiek&Partner

Die Fokker-Piloten hatten vorübergehend das Glück, an die Deutsche BA ausgeliehen zu werden. Der Stamm der von der Friedrichshafen Air übernommenen DBA-Piloten hatte die Fokker 100-Ausbildung teiweise noch nicht abgeschlossen. Die Basis der Deutschen BA war Tegel-Nordteil und ich flog das erste mal am 30.03. 1994 für DBA zwei mal nach Köln/Bonn und zurück. Im April verlegte aber die DBA ihre Basis nach München und wir flogen dann bis Ende Juni 1994 von München und von Tegel aus Innlandlinien und Europa-Charter. Die Einsätze waren häufig kurzfristig und per Telefon vergeben worden und mit Übernachtung in München verbunden. Wir waren aber froh, überhaupt fliegen zu können, im Gegensatz zu unseren Kollegen auf der Il-18. Kein Wunder, wenn sie wieder einmal neidisch auf uns waren. Erst hatten sie auf ihre Abfindung verzichtet und nun durften sie gar nicht mehr fliegen, da die 5 Il-18 zur Konkursmasse gehörten und "an der Kette" lagen.
Im April 1993 tauchen plötzlich die zwei "Schein"-Piloten Uwe Krampe (40) und Serge Steinkamp (29) auf und erwarben die Geschäftsanteile der Berlin und der Insolvenzantrag wurde zurückgezogen. Der Kaufpreis entsprach dem Stammkapital von 250.000,00 DM. Sie versprachen eine 150-Millionen-Dollar-Spritze, die nie eintraf. Nebenbei betrieben sie noch die Fluggesellschaft Marina Air und ein Reisebüro am Wittenbergplatz. Wir erinnern uns heute noch an ihre Show im großen Hangar, als Uwe Grampe in der Uniform eines Flugkapitäns vor der versammelten Belegschaft der Berline für jeden eine Flasche Sekt verteilen ließ und von der Zukunftsvision ihres Unternehmens German European Airline GmbH GEA mit 28 Boeing 737 sprach. Leider ist die 150-Dollar-Spritze nie angekommen. Es war alles Betrug. Der Schuldenberg der Berlin stieg kontinuierlich weiter. Der Verkaufsleiter der BERLINE, Volker Westphal, recherchierte und entlarvte die beiden Betrüger. Aus der Belegschaft erfolgten mehrere Konkursanträge und Starfanzeigen beim Arbeitsgericht Potsdam. Die beiden Betrüger wirtschafteten aber unbehelligt weiter und antworteten mit einer Klage gegen die früheren Geschäftsführer Knäblein und Krauss. Bis die Gerichte handelten vergingen noch Monate. Am 28. Oktober wurde der endgültige Konkurs eingeleitet. Reinhard Knäblein sprach einst von Stoff für einen Krimi, den er in einem Buch irgendwann veröffentlichen möchte. Leider ist es bis heute nicht dazu gekommen. Viele der enttäuschten ehemaligen BERLINE-Mitarbeiter sind seit vielen Jahren verbittert und haben sich zurückgezogen. Wer damals schon über die Fünfzig war, hatte so gut wie keine Chance, in der Luftfahrtbranche wieder eine entsprechende Anstellung zu bekommen. Nach fast 7 Jahren waren die Anklagepunkte vor Gericht "verschleppter Konkurs, Betrug zuungunsten des Arbeitsamtes und Vorenthaltung von Sozialbeiträgen". Mit je 30.000,00 DM Geldbuße für Reinhard Knäblein und Wolfgang Krauss, die als Geschäftsführer im April 1994 den Konkurs ihres 180 Beschäftigte zählendes Unternehmens das erste mal anmelden mussten. Den Großteil der hunderttausende nicht abgeführten Sozialbeiträge müssen beide nach Vergleich mit den Krankenkassen aus ihrem Privatvermögen in Raten abzahlen.

GS
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